von Vivienne
Die Arbeit im Gesundheitswesen ist zweifellos eine der anspruchsvollsten und wichtigsten Berufsfelder. Pflegekräfte setzen sich täglich für das Wohlbefinden und die Gesundheit ihrer Patienten ein. Leider ist jedoch ein alarmierender Anstieg von Gewalt gegen Pflegekräfte zu verzeichnen, und die Frage steht im Raum: Schauen Einrichtungen weg?
Der erste Schritt, um das Ausmaß des Problems zu verstehen, liegt in den Statistiken. Zahlreiche Studien zeigen, dass Gewalt gegen Pflegekräfte in verschiedenen Formen zunimmt. Von verbaler Belästigung bis hin zu physischen Übergriffen sind Pflegekräfte oft Zielscheibe von Aggressionen. Diese Vorfälle haben nicht nur erhebliche Auswirkungen auf die betroffenen Pflegekräfte, sondern gefährden auch die Qualität der Pflege.
Im Jahr 2017 wurde eine Umfrage1 zum "Vorkommen von Gewalt in der Pflege" durchgeführt, und die Ergebnisse zeichnen ein beunruhigendes Bild von den Bereichen im Gesundheitssektor, in denen Pflegefachkräfte vermehrt Gewalt ausgesetzt sind. Insbesondere in der stationären Langzeitpflege zeigen sich deutliche Anzeichen dafür, dass sowohl körperliche als auch verbale Übergriffe keine Seltenheit darstellen. Die Umfrage verdeutlicht, dass 94 Prozent der Beschäftigten in Altenpflegeeinrichtungen bereits Beleidigungen und verbale Angriffe erlebt haben. In 73 Prozent der Fälle wurden die Pflegefachpersonen sogar physisch angegriffen. Diese alarmierenden Zahlen geben Einblick in die erschreckende Realität, mit der Pflegekräfte in ihrem beruflichen Umfeld konfrontiert sind. Allein in Berlin kam es im Jahr 2023 zu 140 Übergriffen auf Pflegepersonal, in 101 Fällen handelte es sich um Körperverletzung2, was im Vergleich zum Vorjahr eine deutliche Zunahme von Vorfällen zeigt. Und die Dunkelziffer mag noch viel höher sein.
Es ist wichtig zu verstehen, warum Pflegekräfte vermehrt Opfer von Gewalt werden. Faktoren wie Überlastung, Stress, Personalmangel und Frustration können zu aggressivem Verhalten führen. Ein tiefergehendes Verständnis dieser Ursachen ist entscheidend, um wirksame Präventionsmaßnahmen zu entwickeln.
Mangelnde Wertschätzung und Respekt: Pflegekräfte spielen eine entscheidende Rolle im Gesundheitssystem, jedoch wird ihre Arbeit nicht immer angemessen gewürdigt. Ein Mangel an Wertschätzung und Respekt seitens der Patienten und/oder Angehörigen kann zu Frustration und Enttäuschung führen, was in manchen Fällen zu Gewalt führen kann.
Kognitive Einschränkungen der Patienten: In vielen Pflegesituationen haben die betreuten Personen kognitive Einschränkungen, sei es aufgrund von Demenz oder anderen neurologischen Erkrankungen. Dies kann zu Verwirrung, Furcht und Misstrauen führen, was wiederum zu aggressivem Verhalten gegenüber den Pflegekräften führen kann.
Mangelnde Schulung im Umgang mit Aggression: Pflegekräfte erhalten möglicherweise nicht ausreichend Schulung und Unterstützung im Umgang mit aggressivem Verhalten von Patienten. Eine gezielte Ausbildung könnte dazu beitragen, die Kompetenzen im Deeskalationsmanagement zu stärken und somit das Risiko von Gewaltvorfällen zu reduzieren.
Gesellschaftliche Stigmatisierung von Pflegeberufen: Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Pflegeberufen beeinflusst ebenfalls das Auftreten von Gewalt. Eine Unterschätzung der Herausforderungen und eine mangelnde Anerkennung der Pflege als anspruchsvoller Beruf können zu einer Atmosphäre beitragen, in der Gewalt gegen Pflegekräfte eher toleriert wird.
Die Frage, ob Einrichtungen wegsehen, ist komplex. In einigen Fällen können Einrichtungen tatsächlich wegschauen, indem sie das Ausmaß der Gewalt bagatellisieren oder die Pflegekräfte nicht angemessen unterstützen. Es kann vorkommen, dass Vorfälle nicht ernst genommen oder unter den Teppich gekehrt werden, um den Ruf der Einrichtung zu wahren oder rechtliche Konsequenzen zu vermeiden. Dieses Wegschauen verstärkt jedoch nur das Problem und gefährdet das Wohlbefinden der Pflegekräfte weiter.
Es ist jedoch wichtig anzumerken, dass nicht alle Einrichtungen gleich handeln. Viele Einrichtungen setzen sich aktiv für den Schutz ihrer Mitarbeiter ein und ergreifen Maßnahmen, um Gewalt zu verhindern und zu bekämpfen. Sie bieten Schulungen zum Umgang mit schwierigen Situationen an, implementieren Sicherheitsvorkehrungen und schaffen eine unterstützende Arbeitsumgebung, in der Pflegekräfte sich sicher und respektiert fühlen.
Dennoch gibt es noch viel Raum für Verbesserungen. Die Gesellschaft muss sich der Realität von Gewalt gegen Pflegekräfte bewusst werden und Maßnahmen ergreifen, um sie zu bekämpfen. Dies erfordert eine breite gesellschaftliche Debatte, eine stärkere Sensibilisierung für das Thema und eine konsequente Durchsetzung von Schutzmaßnahmen.
Zusätzlich müssen Einrichtungen ihre Verantwortung wahrnehmen und sicherstellen, dass Pflegekräfte angemessen geschützt und unterstützt werden. Dies erfordert nicht nur die Implementierung strengerer Richtlinien und Vorschriften, sondern auch eine kulturelle Veränderung, die Gewalt gegen Pflegekräfte als inakzeptabel betrachtet und konsequent bekämpft.
Quellen:
1 Gewaltpräventionsprojekt „Partizipative Entwicklung und Evaluation eines multimodalen Konzeptes zur Gewaltprävention in stationären Pflegeeinrichtungen“ | Richard Dano, Marco Sander, Zugriff 09.02.2024, 12:00 Uhr
2 Berliner Morgenpost, 29.01.2024, 12:33 Uhr
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Autorinnen
Vivienne
Vivienne hat 2018 ihre Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin abgeschlossen und danach Illustrationsdesign studiert. Während ihres Studiums war sie als Leasingkraft in verschiedenen Einrichtungen in Berlin tätig.
Marie
Marie ist examinierte Kinderkrankenpflegerin, war nach ihrer Ausbildung im Leasing tätig und landete danach als Fachkraft auf der Intensivstation. Mittlerweile arbeitet sie als Rettungsassistentin und studiert Gesundheitspädagogik.
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